Eine Koalitionsvereinbarung des Rückschritts

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Eine Koalitionsvereinbarung des Rückschritts

Unter der Überschrift „Gemeinsam für ein modernes Niedersachsen“ haben SPD und CDU eine Koalitionsvereinbarung vorgelegt, mit der Niedersachsen die nächsten fünf Jahre wohl mehr verwaltet als regiert werden wird. Dort, wo man konkrete Gestaltung zur Lösung der angestauten Probleme erwartet, findet man nur unverbindliche Programmsätze. Dort, wo es konkret wird, zeigt sich die Handschrift des CDU.

Der Koalitionsvertrag ist ein völlig unsystematische Sammelsurium von Allgemeinplätzen, unverbindlichen allgemeinen Zielstellungen und konkreten Einzelmaßnahmen, deren Sinnhaftigkeit sich nicht erschließt. Fatal sind auch Auslassungen an den Stellen, wo man konkretes Regierungshandeln erwartet hätte.

Die finanziellen Rahmenbedingungen für eine sozial orientierte Landespolitik, die auch durch mutige Investitionen neue Arbeitsplätze schaffen würde, sind günstig wie nie. So kann das Land nach den neusten Steuerschätzungen mit Einnahmen in diesem Jahr von 26,5 Milliarden Euro rechnen. Das sind gegenüber dem Haushaltsplan des Vorjahres 600 Millionen Euro mehr, wenn man gleich den Anteil , der den Kommunen zufließt, abzieht. In den kommenden Jahren soll sich diese Entwicklung fortsetzen.

Gemessen an diesen Rahmenbedingungen fallen die Aussagen über zukünftige Ausgaben, die zudem noch „unter Finanzierungsvorbehalt“ stehen (S. 4), sehr vage und kleinmütig , ja armselig, aus. Nur allgemein wird angekündigt, den Investitionsstau bei den Krankenhäusern in Niedersachsen abzubauen (S.60) oder zusätzliche Landesmittel für die Förderung des Wohnungsbaus einzusetzen (s.67). Zahlen werden hier aber nicht genannt, obwohl dies die sozialen Probleme des Landes sind, bei denen jetzt vorrangig investiert werden müsste. Für den ÖPNV wird eine Aufstockung der Bundesmittel angekündigt (S. 72), aber nicht mitgeteilt, wie viel das Land dazulegen soll.

Ähnlich unpräzise sind die Aussagen zur Schulgeldfreiheit an Fachschulen. Hatte die SPD in ihrem Wahlprogramm diesen Punkt noch groß herausgestellt, heißt es jetzt nur noch, dass die Schulgeldzahlungen einer Berufswahl nicht im Wege stehen sollen (S. 18).

Die Finanzierung der Beitragsfreiheit der Kindertagesstätten hängt noch von einer Finanzvereinbarung ab, die das Land mit den Kommunen schließen will (S. 7).

Unzureichend ist es, die Schulsozialarbeit nur mit 150 zusätzlichen Stellen auszustatten ( S. 12) und für den weiteren Prozesse der Inklusion nur 150 zusätzliche Stellen in einem Stufenplan pro Jahr bereitzustellen (S.19). Diese Zahlen sind zu gering, sie beziehen sich schließlich auf ganz Niedersachsen.

Für die Gesamtschulen hat die Vereinbarung nur den Satz gefunden, dass sie „gleichberechtigter Teil des Schulsystems“ sind (S. 14). Keine Lösung wurde für die Krise der Oberschulen angeboten, statt dessen kommt der Satz, dass man „dauerhaften Schulfrieden“ herstellen wolle (S. 13).

Im Wahlkampf hatte Spitzenkandidat Weil noch angekündigt, das Niedersächsische . Krankenhausgesetz zu novellieren und Mindeststandards in der Pflege gesetzlich festzuschreiben. Jetzt wird nur allgemein in diesem Zusammenhang von „Patientensicherheit und Patientenschutz“ (S. 61) geschrieben und die Verbesserung der Personalschlüssel von Vereinbarungen mit den Pflegekassen abhängig gemacht (S. 63).

Gegenüber den abhängig Beschäftigten hat die Koalitionsvereinbarung nicht viel zu bieten, nur unverbindliche Programmsätze wie „die Arbeitsbedingungen für alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu verbessern“ (S. 79) oder ebenso allgemein „die Beschäftigungsbedingungen für alle an den Hochschulen Tätigen zu verbessern“ (S.30). Gerade an den Hochschulen könnte die Landesregierung das Unwesen der befristeten Arbeitsverträge für den akademischen Mittelbau sofort beenden. Langzeitarbeitslose sollen in den ersten Arbeitsmarkt wieder eingegliedert werden (S. 81). Man erfährt aber nicht, wie. Konsequent ist es dann auch, Perspektiven im zweiten Arbeitsmarkt gar nicht erst anzusprechen. Einen öffentlich geförderten Beschäftigungssektor gibt es deshalb auch nicht. Die Anwendungsbreite der arbeitnehmerfreundliche Bestimmungen des Vergaberechts soll reduziert werden (S. 83).

Ökologisch wird der Rückwärtsgang eingelegt. So genannte Giga-Liner (Lang-LKWs) sollen auf die Straßen kommen (S. 73).Die Flüsse sollen weiter ausgebaggert werden, was als „Fahrrinnenanpassung“ an Weser und Ems bezeichnet wird (S. 75). Fernbusse sollen von der Maut befreit sein (S.76). Obwohl zu Recht festgestellt wird, dass Dreiviertel der Fließgewässer mit Nitrat, Mikroplastik und Arzneimittelrückständen belastet sind (S: 103), soll nach dem neuen Wassergesetz nur ein Saumstreifen von nur einem Meter Breite entlang der Flüsse bestehen (S.103). Mit welchen Maßnahmen der „Einsatz von Pflanzenschutzmitteln und Dünger auf das unbedingt notwendige Maß“ reduziert ( S.104) werden soll, wird nicht verraten.

Im Kapitel über die Erdöl- und Erdgasförderung wird das Fracking nicht angesprochen (S. 113). Beim Thema Luftreinhaltung findet man nur Ausführungen über Messmethoden (s. 113), nichts über wirksame Maßnahmen.

Wie und in welchem zeitlichen Dimensionen der Atommüll aus dem maroden Bergwerk Asse II geholt werden soll, wird nicht mitgeteilt (S. 114). Zu Gorleben fehlt eine klare Positionierung, die diesen Standort als Endlager für hochradioaktiven Atommüll ausschließt (S. 114).

In der Landwirtschaftspolitik will man „keine ideologischen Grabenkämpfe führen“(S. 90). Die Ausweisung neuer Ausgleichs- und Ersatzflächen zu Lasten landwirtschaftlicher Nutzflächen soll „begrenzt“ werden (S.108). Zu den Preiskrisen in der Milchwirtschaft heißt es nur: „Vorrangig setzen wir auf brancheninterne Lösungen“ (S.92).Dem unter Naturschutz stehenden Wolf wird die Überführung ins Jagdrecht in Aussicht gestellt (S. 111).

Da, wo die Koalitionsvereinbarung konkret wird, wird Demokratieabbau angekündigt: „Gefährder“, also Menschen, die keine Straftat begangen haben, aber vielleicht eine begehen könnten, sollen bis zu 74 Tage in Haft genommen werden können (S. 34). Die Videoüberwachung mit Gesichtserkennung soll ausgebaut werden (S. 34), die Beschwerdestelle beim Innenministerium wird abgeschafft ( S.35). Das Demonstrationsrecht soll verschärft werden. Wer seinen Schal vor dem Gesicht trägt (Vermummungsverbot), soll in Zukunft damit schon eine Straftat und nicht mehr nur eine Ordnungswidrigkeit begangen haben.

In der Kommunalverfassung sollen die Rechte der kleinen Parteien eingeschränkt werden. Eine Fraktion soll in Zukunft nur mit drei und nicht ab zwei Mitgliedern gebildet werden können ( S.124). Das Verbandsklagerecht der Umweltverbände und Tierschutzverbände soll eingeschränkt werden (S. 71 und S. 95).

Völlig absurd wird es, wenn man liest, dass es in Zukunft Schöffinnen bei Gericht verboten sein soll, ein Kopftuch zu tragen (S. 43), als ob es keine anderen Probleme gäbe.

Das von der bisherigen Regierung vorbereitete Informationsfreiheitsgesetz wird erst mal auf Eis gelegt, um die Erfahrungen anderer Bundesländer auszuwerten (S. 45). Im Kapitel über die Medien werden die „Interessen der privatwirtschaftlich tätigen Verleger“ ins Spiel gebracht , auf die „Rücksicht zu nehmen“ sei ( S. 116)

Flüchtlingen wird allgemein Integration zugesagt. Konkret sollen aber anerkannte Flüchtlinge mit Wohnsitzauflagen (S. 39) drangsaliert werden, die es nach Art 2 des 4. Zusatzprotokolls der Europ. Menschenrechtskonvention gar nicht geben dürfte. Kein Wort zum Nachzugsrecht von Familienangehörigen sog. subsidiär Schutzberechtigter. Dafür will sich die Regierung im Bundesrat für die Ausweitung der sog. sicheren Drittstaaten auf Tunesien, Algerien und das Königreich Marokko einsetzen (S.39).

Steuerpolitisch ist der Koalitionsvertrag ein völliger Ausfall. Die Vermögenssteuer wird nicht erwähnt. Die Finanztransaktionssteuer wird zwar befürwortet, aber nur „europaweit“ (S.118), was einem Verzicht gleichkommt. Den Kommunen wird nur der Erhalt der Gewerbesteuer in Aussicht gestellt (S. 122), nicht die Ausweitung dieser Steuer zur Gemeindewirtschaftssteuer. Die Steuerverwaltungen sollen unter Umständen im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnik verstärkt werden (S.134). Mehr Betriebsprüfer zur Bekämpfung der Steuerhinterziehung werden nicht für erforderlich gehalten.

Positiv ist zu vermerken, dass es in Zukunft in Niedersachsen einen zusätzlichen gesetzlichen Feiertag geben wird (S. 22), eine Forderung, die die LINKE schon in der 16. Legislaturperiode erhoben hatte, und die damals von der CDU als „Angriff auf den Wirtschaftsstandort“ abgelehnt worden war. Anzuerkennen ist, dass die Medizinerausbildung in Niedersachsen ausgebaut werden soll. 100 bis 200 zusätzliche Studienplätze bis Ende der Legislaturperiode (S. 58) ist aber auch kein großer Wurf, wenn man die bestehenden hohen NC-Hürden und den Ärztemangel in Niedersachsen bedenkt.

Natürlich enthält der Koalitionsvertrag auch richtige Feststellungen und Ankündigungen für die zukünftige Regierungszeit. So heißt es z. B. zu Recht, dass jedem Kind in Niedersachsen ein Platz in Krippen bzw. Kindertagesstätten angeboten werden muss (S.6) und „Barrierefreiheit in allen Bereichen“ anzustreben ist (S. 53), es sogar ein „übergeordnetes Ziel“ der Landespolitik sei, „die Wohnungsmärkte gerade für Menschen mit kleinem Einkommen möglichst zu entspannen“ (S. 66) oder es Ziel der Regierung sei, „eine verlässliche, umweltgerechte und bezahlbare Energieversorgung“ bereitzustellen.

DIE LINKE wird diese Passagen gut in Erinnerung behalten und darauf bei Gelegenheit zurückkommen, wenn diese und andere formulierten hehren Grundsätze dann mit der tatsächlichen Regierungspolitik in Widerspruch geraten sollten.

Hans-Henning Adler

Mitglied des Landesvorstandes Niedersachsen der LINKEN

 

 

 

2017-11-19T13:30:17+00:00