Kann man mit einem Mörder verhandeln?

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Kann man mit einem Mörder verhandeln?

Der ukrainische Präsident Selenskij lehnt Verhandlungen zur Beendigung des Krieges mit Putin ab. Seine Begründung: „Kann man mit jemandem reden, der seine Gegner tötet?“ (NWZ vom 26.02.24). Gemeint ist hier natürlich Putin. Ob er für den Tod Nawalnys persönliche Verantwortung trägt, kann man hier erst einmal offen lassen, möglich ist es durchaus.

Der Irrtum Selenskijs ist aber hier, dass er moralische (und auch juristische) Kategorien mit politischen Begriffen oder vernunftgeleiteten Überlegungen vermischt.

Natürlich würde die Polizei auch mit einem Mörder verhandeln, der weitere Geiseln in seiner Gewalt hat, wenn dadurch die Chance besteht Menschenleben zu retten.

Im Übrigen trifft die Kategorie „Mörder“ auf sehr viele Persönlichkeiten der Zeitgeschichte zu, die in herausragenden Positionen politisch tätig sind:

So hat die amerikanische Armee auf Befehl von US-Präsident Trump am 03.01 2020 den iranischen General Qasem Soleimani durch Einsatz einer Drohne auf dem Zivilflughafen von Bagdad umbringen lassen. Dabei kam nicht nur der General ums Leben, auch sieben weitere Offiziere und ein Flughafenangestellter fanden den Tod.

Der Kronprinz von Saudi-Arabien Mohammed bin Salman, der inzwischen auch Premierminister seines Landes geworden ist, ließ den Journalisten Jamal Kashoggi am 2. Oktober 2018 in der saudischen Botschaft in Istanbul durch ein Killer-Kommando ermorden und die Leiche zerstückeln, was den Bundeskanzler Scholz nicht gehindert hatte, im September 2022 ihn mit einem Staatsbesuch zu ehren, um mit ihm über Fragen der deutschen Energieversorgung zu reden.

Man sieht an diesen Beispielen, dass moralische Kategorien nicht weiterhelfen, wenn man politische Lösungen von Konflikten anstrebt. Da muss man auch mit Mördern verhandeln, jedenfalls dann, wenn man dadurch das sinnlose Sterben von Tausenden beenden kann.

Der Angriff der Hamas auf Israel am 07.10.23 war ein mörderischer Akt, der den Tod von 695 israelische Zivilisten zur Folge hatte. Die Gegenreaktion Israels war unverhältnismäßig und deshalb nicht weniger verbrecherisch. Die Zahl der Zivilopfer wird mit 27.000 angegeben. (Stand 7. Februar 2024).Trotzdem wird über Gefangenenaustausch verhandelt, leider viel zu wenig. Ein Waffenstillstand ist nicht in Sicht, wäre aber die dringlichste Aufgabe.

Ohne Zweifel kann man Stalin als Mörder bezeichnen, wenn man nur an die Massenerschießungen von 4400 polnischen Offizieren in Katyn denkt, auch als Aggressor, weil er im Winterkrieg 1939 Finnland überfallen hatte. Dieser Krieg wurde gleichwohl durch Verhandlungen beendet, bei denen Finnland einen kleinen Teil seines Territoriums, nämlich Ost-Karelien, abtreten musste. Das war das Ergebnis von Verhandlungen mit einem Mörder, was aber den Krieg und damit das Sterben von Tausenden beendete.

Wann kapiert endlich die Bundesregierung, dass die Zeit für einen Waffenstillstand in Gaza wie in der Ukraine längst erreicht ist und ein dauerhaften Frieden nur durch einen fairen Kompromiss erreicht werden kann, was natürlich Kompromissbereitschaft voraussetzt. Rechthaberei mit dem erhobenen moralische Zeigefinger ist hier der falsche Ratgeber.

Hans-Henning Adler

2024-02-28T16:03:40+00:00