Pro und Contra zur Impfpflicht

Startseite/Blog/Pro und Contra zur Impfpflicht

Pro und Contra zur Impfpflicht

Fest steht, dass Impfungen gegen Corona das Risiko eines schweren Verlaufs erheblich vermindern. Das wird nicht mehr ernsthaft bestritten. Weiter steht fest, dass der Impfschutz mit den hier verwendeten Impfstoffen offenbar nicht so lange anhält wie man ursprünglich erwartet hatte und dass auch Geimpfte andere anstecken können. Die Ansteckungswahrscheinlichkeit ist aber bei Geimpften geringer.

Wir müssen aber auch feststellen, dass auch in Ländern mit einer hohen Impfquote wie Portugal oder Dänemark die Infektionszahlen in den letzten Wochen stark gestiegen sind. Hier rächt sich offenbar eine Politik, die allein auf den Impfschutz gebaut hatte. Im September waren in Dänemark noch alle Corona-Regeln aufgehoben worden, danach stiegen die Zahlen stark an. Das scheint damit zusammenzuhängen, dass das Vertrauen auf den Impfschutz viele zu leichtfertigem Verhalten verleitet hatte.

Vergleicht man weltweit die Länder mit hoher Impfquote mit den Ländern, wo wenig geimpft wurde, lässt sich schon eine Tendenz erkennen. Sarah Wagenknecht hat darauf hingewiesen, dass bei einem Vergleich der Länder mit Blick auf die Impfquote und der Höhe der Inzidenzwerte kein Zusammenhang erkennbar sei, also keine Kohärenz bestehe. Das ist sicherlich für Europa richtig. Trotzdem fällt auf, dass Länder mit hoher Impfquote in Lateinamerika wie Chile und Kuba sehr geringe Inzidenzwerte haben. Das Gleiche gilt in Asien für Länder wie Japan, Südkorea, Malaysia oder Singapur.

Die Zusammenhänge sind offenbar komplizierter, weil verschiedene Faktoren wirken. Länder, die vor ein paar Wochen hohe Inzidenzwerte hatten, haben jetzt niedrige, obwohl die Impfquote gering ist. Offenbar hat ein größerer Teil Infizierter einen eigenen Immunschutz aufgebaut, so dass die Gegenüberstellung der Geimpften mit den Inzidenzzahlen keinen Erkenntnisfortschritt bringt. Länder mit schönem Wetter haben eindeutig geringe Inzidenzwerte, weil sich die Menschen dort länger draußen aufhalten. Länder mit einer Bevölkerung, die sich gegenüber staatlichen Anordnungen sehr diszipliniert verhält, stehen generell besser da.

Wenn demnach die Behauptung, dass uns allein eine höhere Impfquote aus der verfahrenen Situation retten kann, so nicht richtig ist, stellt sich dennoch die Frage, ob eine allgemeine Impfpflicht nicht doch zu befürworten ist, weil ganz eindeutig die Zahl der schweren Verläufe durch das Impfen reduziert wird. Wir kenne ja auch die Anschnallpflicht beim Autofahren, die dazu geführt hat, dass die Zahl der schweren und tödlichen Unfälle reduziert werden konnten. Der verfassungsrechtliche Grund für die Anschnallpflicht liegt aber nicht an der Eigengefährdung des nicht angeschnallten Verkehrsteilnehmers, weil man niemandem zu seinem Glück zwingen kann. Für die verfassungsrechtliche Begründung der Anschnallpflicht liegt in dem Umstand, dass das Gesundheitssystem durch nicht angeschnallte Fahrer stärker belastet wird.

Lässt sich dieser Gedanke auf die Corona-Impfung übertragen? Nicht so ganz, weil das Impfen im Gegensatz zum Anschnallen mit einem erzwungenen Eingriff in die körperliche Unversehrtheit verbunden wäre. Hinzu kommt, dass nach dem Stand von heute eine allgemeine Impfpflicht frühestens im März oder April 2022 beschlossen werden könnte. Dann wird die Infektionswelle mit der Omikron-Variante aber wahrscheinlich schon vorbei sein. Mit einer ungewissen neuen Variante lässt sich verfassungsrechtlich aber keine Impfpflicht begründen, weil der Eingriff in die körperliche Unversehrtheit nur mit einer konkreten Gefahr für die allgemeine Gesundheit gerechtfertigt werden kann. Weiter ist zu beachten, dass eine allgemeine Impfpflicht nur durchgesetzt werden kann, wenn Impfverweigerer zu Bußgeldern als Ordnungswidrigkeit herangezogen werden. Diese Bußgelder würden bei erneuter Weigerung auch erneut verhängt werden müssen. Man würde sich nicht „frei kaufen“ können. Der Verwaltungsaufwand für Behörden und Gerichte wäre erheblich.

Es stellt sich deshalb die Frage, ob eine höhere Impfbereitschaft nicht auch auf anderen Wegen durchgesetzt werden kann, etwa durch eine indirekte Impfpflicht, die dem einzelnen immer noch erlaubt, sich bei Inkaufnahme kleinerer Nachteile dem Impfen zu entziehen, die anderseits doch so spürbar ist, dass sie viele bislang Ungeimpfte motivieren würde sich jetzt doch impfen zu lassen.

So könnte der Gesetzgeber z.B. die Krankenkassen verpflichten von Ungeimpften einen höheren Beitrag einzuziehen und gleichzeitig den Krankenkassen aufgeben, die so erzielten Mehreinnahmen den Geimpften als Beitragsnachlass gutzuschreiben. Dies ließe sich rechtfertigen, weil die Ungeimpften stärker das Gesundheitssystem belasten als die Geimpften. Die Regelung sollte für die Krankenkassen aufkommensneutral sein.

Der Gedanke ist nicht neu. Ein vergleichbares System gibt es ja schon bei der Autoversicherung. Wer umsichtig fährt und wenig Unfälle macht, bekommt einen Schadensfreiheitsrabatt. Wer viele Unfälle macht und dadurch die Versichertengemeinschaft stärker belastet, wird in eine höhere Schadensklasse eingestuft und zahlt mehr.

Einen ähnlichen Vorschlag hat jetzt der Gesundheitsminister von Bayern gemacht. Dagegen wird vorgebracht, dass mit einer derartigen Regel eine Tür geöffnet werden könnte: Gesundheitsschädliches Verhalten wie Rauchen oder ungesundes Essen wird gegenwärtig durch die Beitragssätze der Krankenversicherung nicht bestraft. Das Solidarprinzip würde mit einem Systembruch in der Krankenversicherung aufgeweicht.

Es bleibt dann wohl nur das, was der französische Präsident Macron gegenwärtig befürwortet und was gegenwärtig ja teilweise auch schon gilt: Ohne eine allgemeine Impfpflicht einzuführen sollen Ungeimpfte im Alltag stärker eingeschränkt werden. Danach sollen Ungeimpfte nicht mehr in Gaststätten, Kinos, Theater, Museen und Sportarenen eingelassen werden. Der Impfpass soll zudem für Fernzüge, Busse und Inlandsflüge vorgeschrieben sein.

Hans-Henning Adler

2022-01-24T15:16:29+00:00