Einerseits:
Erfolgreiche linke Parteien entstehen nach der Geschichte immer im Ergebnis ganz bestimmter gesellschaftlicher Bewegungen oder außergewöhnlicher Ereignisse oder Umbrüche. Zugleich muss sich im Parteienspektrum eine politische Lücke auftun, weil die bestehenden Parteien bestimmte Stimmungen in der Bevölkerung nicht aufnehmen können oder wollen.
So ist die SPD mit dem Aufkommen der Arbeiterbewegung, die USPD/KPD mit dem Widerstand gegen den imperialistischen 1. Weltkrieg und die Grünen mit der 68er Revolte und der Anti-AKW-Bewegung verbunden. Die Gründung der PDS aus der SED hing hing mit dem überhasteten Anschluss der DDR und den damit verbundenen sozialen Problemen zusammen. Die Gründung der WASG und in dessen Folge der LINKEN war das Ergebnis der Proteste gegen die Hartz-Gesetze.
Abspaltungen aus den genannten Parteien blieben immer erfolglos, wenn sie nur aus der eigenen Befindlichkeit heraus vorgenommen wurden und nicht einem herangewachsenen gesellschaftliches Bedürfnis entsprachen. Das gilt auch dann, wenn man im geschichtlichen Nachblick sagen muss, dass die sich abspaltenden politischen Gruppen in dem damals ausgetragenen Konflikten eigentlich Recht hatten. Beispiele lassen sich dafür viele nennen: Die SAP als linke Abspaltung von der SPD (1931) oder die KPD-O (1928) als Abspaltung von der sektiererisch gewordenen KPD.
Auch die Abspaltung von der SPD im Jahr 1982, die Demokratischen Sozialisten (DS), die sich immerhin auf zwei Bundestagsabgeordnete stützen konnte, war im Ergebnis erfolglos. Ihre politischen Aussagen bezogen sich zwar auf den NATO-Doppelbeschluss vom Dez. 1979 und damit auf die Friedensbewegung. Ihre Gründung kam jedoch zu spät. Außerdem gab es damals noch andere Parteien, die den Unzufriedenen ein politisches Angebot gemacht hatten, welches den Forderungen der Friedensbewegung entsprochen hatte. Das waren die damals noch friedensorientierten Grünen und die DKP. So gesehen spricht vieles gegen eine Neugründung.
Andererseits:
Betrachtet man die Abspaltungen von der USPD näher, kommt man aber auch zu dem Ergebnis, dass die erste Abspaltung von 1918 die damals noch recht kleine KPD hervorgebracht hatte, die zweite 1920 aber eine ziemlich starke KPD mit bis zu 360 000 Mitgliedern und bis zu knapp 17% Wählerstimmen hervorgebracht hatte.
Wenn jetzt eine Abspaltung von der Partei DIE LINKE diskutiert wird, muss man diese geschichtlichen Erfahrungen reflektieren.
Das bisherige Agieren des gegenwärtigen Parteivorstandes der LINKEN, seine Erfolglosigkeit bei Wahlen in den letzten Jahren, insbesondere die Ausgrenzungspolitik gegenüber der populärsten Persönlichkeit der Partei, lässt schon ein Bedürfnis nach einer neuen Organisationsform aufkommen.
Die gegenwärtige Parteiführung steht nicht für ein klares Nein zum Kurs der Ampelregierung, der sich mit seinem verkorksten Heizungsgesetz, Milliarden-Förderung für einen sinnlosen Krieg, Wirtschaftskrieg gegen Russland und Manövrieren in die Rezession auszeichnet.
Aktuell kürzt die Bundesregierung die staatlichen Zuschüsse zur Rentenversicherung und verschiebt die bereits versprochene Kindergrundsicherung, gleichzeitig werden staatliche Garantien für Investitionen in der Ukraine versprochen, die sich auf das investierte Kapital und auch die Gewinnerwartungen beziehen, womit auch der Bau einer Panzerfabrik des Rüstungskonzerns Rheinmetall gefördert wird. Diese Politik fördert nicht nur den Krieg, sie verschwendet auch Steuergelder, die sich in Pulverdampf auflösen werden, wenn diese Rüstungsfabrik von Raketen getroffen wird. Gegen diese verantwortungslose Politik der Ampel-Regierung ist schärfste Opposition notwendig.
Wenn der selbstzerstörerische Kurs der gegenwärtigen Parteiführung fortgesetzt wird und keine Rückkehr zum Prinzip des innerparteilichen Pluralismus mehr gefunden wird, dann ist die Abspaltung unausweichlich. Aber was könnte dann entstehen? Im Folgenden soll das in der Form eines Gedankenspiels näher betrachtet werden.
Im Gegensatz zur Partei DIE LINKE sollte die neue sozialistische Partei ihre politischen Ziele nicht allein von moralischen Grundsätzen ableiten, sondern grundlegend aus der Analyse der gesellschaftlichen Verhältnisse und der vorgefundenen Bedingungen entwickeln und von den Interessen der abhängig Beschäftigten geleitet sein. Ethisch begründete Ziele finden erst durch ihre historische Einordnung ihre Berechtigung, weil ihre Durchsetzbarkeit mitbedacht werden muss. Ein Beispiel für illusorische Politik ist das von den LINKEN in einer Mitgliederabstimmung geforderte „bedingungslose Grundeinkommen“, welches insbesondere in Kombination mit der Forderung nach „offenen Grenzen für alle“ zu einer politischen Außendarstellung führt, die kaum noch ernst zu nehmen ist. Politische Forderungen müssen auch durchsetzbar sein. Wählerinnen und Wähler haben ein Gespür für illusorische Konzepte.
Ein neues Parteiprojekt muss auch eine eigene Kultur repräsentieren. Hierzu gehört es Menschen dort abzuholen , wo sie gerade sind und zu versuchen sie zu überzeugen und nicht aus der Position selbst ernannter moralischer Überlegenheit zu erziehen. Es hilft nicht notwendige Veränderungen über sprachliche Formulierungen herbeizuführen und einen bestimmten Sprachgebrauch anderen vorzuschreiben. Um Veränderungen herbeizuführen, müssen in erster Linie Strukturen in der Gesellschaft, Wirtschaft und Staat verändert werden. Verhaltensänderungen sollten das Ergebnis freiwillig vollzogener Änderungen des gesellschaftlichen Bewusstsein sein, wie dies z.B. bei der Mülltrennung ja erfolgreich praktiziert wurde. Der Gebrauch „korrekter“ Begriffe in der Sprache sollte schon erfolgen, ist aber nachrangig.
Ein neues Parteiprojekt muss sich von anderen Parteien abgrenzen. Eine Abgrenzung zur Linken ergibt ich aus den dargestellten Differenzen. Zu den anderen konkurrierenden Parteien ist dies auch nicht weiter schwierig. Eine klare Abgrenzung zur AFD ist im Übrigen zwingend, mit dieser Partei kann es keine Zusammenarbeit geben.
Ein neues Parteiprojekt müsste auch von mehreren bekannten Persönlichkeiten repräsentiert werden, nicht nur von einer Person.
Ein neues Parteiprojekt braucht Geld und müsste mit einer offensiven Spendenkampagne verbunden sein.
Ein neues Parteiprojekt braucht Mitglieder. Die kommen aber von allein, wenn die politischen Voraussetzungen erfüllt sind.
Im Folgenden sollen in Fortsetzung dieses Gedankenspiels Konturen einer neuen Partei als programmatische Thesen formuliert werden:
1. Name. Die neue Partei könnte z.B. Sozialistische Volkspartei (SVP) oder auch ganz kurz Sozialistische Partei (SP) heißen. Sozialistisch, weil dieses Adjektiv für eine Politik steht, die das Allgemeinwohl gegenüber den Interessen privilegierter Minderheiten betont, sich gegen die Macht der Großkonzerne stellt und sozialen Ausgleich durch eine Umverteilung von Einkommen und Vermögen von oben nach unten anstrebt und die Interessen der arbeitenden Bevölkerung ansprechen will, der abhängig Beschäftigten, der Erwerbslosen, der Rentner und in der Berufsausbildung stehenden, aber auch die Interessen der Selbstständigen und gewerblich Tätigen, die ihre Arbeitskraft einsetzen müssen, um ihren Unterhalt zu verdienen. Es sollen auch Menschen angesprochen werde, die vom bestehenden Politikbetrieb abgestoßen fühlen. Wenn der Begriff „sozialistisch“ nicht im Parteinamen auftreten soll, weil er vielleicht mit zu vielen negativen Assoziationen verbunden wird, müsste er sich aber mindestens in der Programmatik wiederfinden.
Ein denkbarer Parteiname könnte auch Demokratische Offensive sein, Kurzbezeichnung: do. „Demokratisch“ kann man auch gut auf Wirtschaftsdemokratie beziehen und hätte damit ein sozialistisches Merkmal., „Offensive“ verdeutlicht den oppositionellen Charakter gegenüber der herrschenden Politik und die Kurzbezeichnung ist zugleich ein Wortspiel mit dem englischen Wort „do“.
2. Friedenspolitik. Waffenlieferungen an kriegführende Staaten verlängern in der Regel Kriege. Auch wenn wir den Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine als völkerrechtswidrig beurteilen, ändert dies nichts an der Notwendigkeit eines sofortigen Waffenstillstands und einer Verhandlungslösung für einen dauerhaften Frieden, der Kompromissbereitschaft auf beiden Seiten voraussetzt und nachvollziehbare Sicherheitsinteressen beider Seiten berücksichtigt. Die Maximalforderung der Ukraine zu unterstützen, wie es der Erfurter Parteitag der Linken im Sommer 2022 getan hat („…fordern wir den vollständigen Rückzug russischer Truppen aus der Ukraine.“) führt nicht zu einer Friedenslösung.
3. Außenpolitik. Die Außenpolitik der Bundesregierung ist von bedingungsloser Gefolgschaft gegenüber den USA geprägt. Wir leben aber inzwischen in einer multipolaren Welt, in der sich auch die EU von der immer noch bestehenden Abhängigkeit von der US-Politik emanzipieren sollte. Es darf nicht länger hingenommen werden, dass bei Verstößen gegen das Völkerrecht unterschiedliche Maßstäbe angelegt werden. Die allseits propagierte „regelbasierte Außenpolitik“ scheint nur die Regel zu haben, dass Regeln für die USA nicht gelten, die übrigen Staaten sich aber an das Völkerrecht halten sollen. Notwendig ist eine außenpolitische Umkehr, die auf internationale Entspannung und friedliche Konfliktlösungen orientiert ist und insbesondere China und Russland einbezieht und nicht bekämpft. Die Außenpolitik einer neuen Partei ist von den Gedanken der Völkerverständigung und internationalen Solidarität geprägt, wozu auch auch die Solidarität mit Cuba und allen antiimperialistischen Kräften gehört.
4. Einkommens-, Steuer- und Sozialpolitik. Notwendig ist eine aktive Lohnpolitik, die den arbeitenden Menschen einen höheren Anteil an den von ihnen geschaffenen Werten sichert, entsprechend dem Fortschritt der Produktivität der Wirtschaft die Arbeitszeit bei vollem Lohnausgleich verkürzt und Renten wie Sozialleistungen so verbessert, dass die Inflation ausgeglichen wird und ein gerechter Anteil aus dem Produktivitätsfortschritt der Wirtschaft in diese Leistungen einfließt. Durch eine grundlegende Reform des Steuersystems, die Absenkung der Mehrwertsteuer für Güter des täglichen Bedarfs, die Wiederbelebung der Vermögenssteuer und die Einführung einer Finanztransaktionssteuer sind Umverteilungen von oben nach unten und eine Bekämpfung von Spekulationen durchzusetzen. Starke Gewerkschaften sind unabdingbar für die Durchsetzung sozialer Interessen. Sie sind als Organisationen der Arbeiterklasse ein wichtiges Kraftzentrum für soziale Belange, demokratische Rechte und Freiheiten und die Sicherung des Friedens.
5. Wirtschaftspolitik. Die gegenwärtige Rezession und die eingetretene Inflation erfordern eine völlig neue Industriepolitik, die starke Eingriffe in die Wirtschaft vornimmt und z. B. Preisregulierungen vorsieht. Der Markt hat hier – wie auch beim Wohnungsbau – versagt. Zu Preisregulierungen gibt es gegenwärtig keine politischen Vorstöße der LINKEN. Wirtschaftsregulierungen und Ausweitung öffentlichen Eigentums sollten ein unverzichtbarer Markenkern einer neuen sozialistischen Partei sein. Sozialistische Politik richtet sich gegen die Macht der Großkonzerne, national wie international. Art. 15 des Grundgesetzes ist für die Sozialisierung von Banken und Energiekonzernen zu nutzen.
6. Energiepolitik. Gegen die gegenwärtige Energiepolitik mit der Orientierung auf umweltschädliches Fracking-Gas und das Hochfahren von Kohlekraftwerken ist eine klare Oppositionspolitik nötig. Die (wahrscheinlich durch die USA veranlasste) Sprengung der Nord-Stream Gasleitungen in der Ostsee ermöglicht immer noch Gaslieferungen aus Russland, weil eine von vier Leitungen nicht beschädigt wurde. Gaslieferungen sind aber nötig, weil der an sich ja richtige vollständige Umstieg auf erneuerbare Energien noch sehr viele Jahre benötigt. Der gegenwärtige Verzicht auf Erdgas aus Russland hat die Wirtschaft in Deutschland in die Rezession geführt, während die USA über Fracking-Gas-Exporte und Rüstungsaufträge am Krieg verdienen. Die Situation droht sich noch zu verschlimmern, weil Selenskyj den Vertrag über den Gastransit über die Ukraine in die EU nicht verlängern will.
7. Klimapolitik. Wenn wir aus allen wissenschaftlichen Analysen wissen, dass die Klimakatastrophe ein den ganzen Erdball umfassendes Problem ist, dann kann die Lösung nur in einer Politik der internationalen Zusammenarbeit liegen, die das flächenmäßig größte Land und das bevölkerungsreichste Land der Erde von Anfang an gleichberechtigt einbezieht. Auch deshalb muss die gegenwärtige Konfrontationspolitik gegenüber China und Russland durch eine Politik der internationalen Zusammenarbeit ersetzt werden. Wirtschaftssanktionen sind für die internationale Zusammenarbeit kontraproduktiv. Bei Technologien mit militärischer Verwendbarkeit können sie natürlich sinnvoll sein.
Umwelt- und Klimapolitik sollte die Großkonzerne als wichtigste Verursacher der Menschheitsprobleme in die Pflicht nehmen. Im Übrigen gilt: Klimaschutzmaßnahmen können nur wirksam sein, wenn sie sozial gestaltet werden, weil sie von einer breiten Bevölkerungsmehrheit akzeptiert werden müssen. Alle politischen Konzepte, die diesen Zusammenhang nicht verstehen, enden logisch in einer Öko-Diktatur.
8. Migrationspolitik. Das Asylrecht muss nach wie vor verteidigt werden. Auch für die Einwanderung aus humanitären Gründen sollte ein Weg offen sein. Für die Arbeitsmigration ist aber eine differenzierte Bewertung nötig. Einwanderungen sind grundsätzlich zu ermöglichen. Wenn sich dieser Prozess aber unkontrolliert und in Brüchen vollzieht, entsteht die Gefahr, dass die Rechtsextremen davon profitieren. Die Formulierung im letzten Bundestagswahlprogramm „DIE LINKE steht für offene Grenzen für alle Menschen in einem solidarischen Europa“ ist in dieser Verabsolutierung im Übrigen völlig irreal.
9. Europapolitik. In seiner gegenwärtigen Verfassung, die durch den Lissabon-Vertrag und die Politik der wichtigsten EU-Länderregierungen im Ministerrat bestimmt wird, ist die EU militaristisch, neoliberal und undemokratisch. Für eine erfolgreiche europäische Einigung, die den arbeitenden Menschen und nicht den herrschenden Eliten und Konzernen dient, ist eine grundsätzliche Umgestaltung der Europäischen Union erforderlich.
Sofern Regeln der EU demokratische oder soziale Rechte, die auf nationaler Ebene erstritten worden sind, einschränken oder in Frage stellen, sind natürlich die nationalen Regelungen zu verteidigen. Das Verhältnis der neuen Partei zu den verschiedenen Entscheidungsebenen der Politik (Europa, Deutschland, jeweiliges Bundesland, Kommune) sollte sich nach der jeweiligen Nützlichkeit richten. Es gibt deshalb weder einen Grund für nationalen Pathos noch für eine Europa-Euphorie.
10. Ostdeutschland. Es gehört zum Wesen sozialistischer Politik benachteiligte Regionen zu fördern. Das gilt insbesondere für das Gebiet der ehemaligen DDR, deren Bevölkerung durch Missachtung ihrer Lebensleistungen, geringere Löhne und Renten sowie höhere Erwerbslosigkeit diskriminiert ist. Hier wie auch in anderen benachteiligten Regionen muss eine staatliche Strukturpolitik einsetzen, aber nicht durch erhöhte Subventionen in die Taschen der Großkonzerne sondern durch Förderung öffentlichen Eigentums in diesen Regionen.
Diese Gedanken müssen nicht notwendig zu einer neuen Partei führen. Sie könnten auch Konturen einer Neuorientierung der LINKEN sein. Ob es dazu kommt, liegt an der gegenwärtigen Parteiführung und an dem kommenden Parteitag.
Hans-Henning Adler
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