Ziemlich weit von der Lebensrealität entfernt

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Ziemlich weit von der Lebensrealität entfernt

 

Kritische Bemerkungen zu sieben Zitaten aus dem Programmentwurf des Parteivorstandes der LINKEN zur EU-Wahl 2024

1. Aus Klimaschutzgründen muss muss in ganz Europa das Heizen mit Erdgas beendet werden. (S.47)

2. Um die Klimaziele zu erreichen, muss der Autoverkehr bis 2035 halbiert werden ( S. 51)

3. Die Landwirtschaft ist der Hauptverursacher für den Verlust der Artenvielfalt. (S. 39)

4. Die Fischerei mit Stellnetzen und Schleppnetzen wollen wir verbieten. (S.56)

5. Ein Teil der Inflation ist profitgetrieben und muss fiskalpolitisch bekämpft werden (S. 33).

6. Der Krieg gegen die Ukraine muss beendet und die russischen Truppen müssen aus der Ukraine zurückgezogen werden…Wir fordern einen schnellen Waffenstillstand, der den Weg zu ernsthaften Friedensverhandlungen freimacht.

7. Wir benötigen …die Aufhebung des Visumzwangs für Schutzsuchende (S. 79) … zielen wir auf eine Gesellschaft ohne Abschottung (S. 78)…Menschen haben ein Recht auf Bewegungsfreiheit und die Wahl ihres Wohnortes. ( S.81)

Das sind Original-Zitate aus dem Entwurf des Europawahlprogramms der LINKEN, den der Vorstand jetzt vorgelegt hat.

Zu 1: Mehr als die Hälfte (52,1%) aller bewohnter Wohnungen in Deutschland wird überwiegend mit Gas beheizt. Eine Reduzierung des Gasverbrauchs ist aus Klimaschutzgründen sicherlich notwendig. Aber was bietet der Entwurf als Alternativen zum vollständigen Ausstieg aus dem Erdgas an?

Am Atomausstieg soll zu Recht festgehalten werden. Das umweltschädliche Fracking-Gas (LNG-Gas) wird ebenfalls abgelehnt – zu Recht. (S.47)

Wasserstoff scheidet auch aus: „Der Import von Wasserstoff aus erneuerbaren Energien wollen wir auf ein ein unvermeidbares Minimum begrenzen.“ (S. 48) : Die Kohle als Energieträger wird nicht erwähnt, aber sicherlich auch abgelehnt, denn es heißt: „Fossile Kraftwerke dürfen nicht mehr die Preise für den gesamten Strommarkt setzen.“(S. 46)

Die Lösung ist dann: „Bis zum Jahr 2035 muss die Elektrizitätserzeugung in der gesamten EU zu 100 Prozent aus erneuerbaren Energien bestehen.“ (S. 45)

Für private Energie-Konzerne soll es ein „Gewinn-Verbot im Wärmebereich“ geben ( S. 47), was rechtlich kaum durchsetzbar sein wird. Bei alledem soll auch eine „preiswerte Energieversorgung“ durchgesetzt werden (S.20)

Die diesen Gedanken zugrunde liegende Prämisse lautet offenbar, dass eine Friedenspolitik gegenüber Russland, die für eine Übergangszeit die Wiederaufnahme von Erdgaslieferungen erlauben würde, von vorn herein ausgeschlossen wird. Dann rettet man sich in ein völlig unrealistisches Ausstiegsscenario aus fossilen Brennstoffen und versucht dabei grüner als die Grünen zu sein. Um dem ganzen dann eine antikapitalistische Note zu geben, wird ein Gewinnverbot für private Energiekonzerne vorgeschlagen. Gewinne machen zu wollen gehört aber zum Wesen einer kapitalistischen Produktionsweise. Das verbieten zu wollen, käme einer Enteignung mit Entschädigungsansprüchen gleich. Dann sollte man das aber auch so schreiben. Natürlich kann man Gesetze beschließen, die im Ergebnis Profite reduzieren, aber man kann sie nicht überhaupt verbieten. Den gleichen Gedanken finden wir auch im Gesundheitskapitel („Wir wollen, dass Pflegekonzerne keine Gewinne ausschütten dürfen“ S. 27). Hier wird politische Ökonomie durch moralische Maßstäbe ersetzt.

Zu 2: Aus Klimaschutzgründen ist es natürlich nachvollziehbar, eine solche Zielsetzung zu formulieren. Es ist auch alles richtig, was im Programmentwurf über mögliche Alternativen zum Individualverkehr aufgezählt wird, Trotzdem ist die beschriebene Zielsetzung völlig unrealistisch und wird dazu führen, dass dieser Satz im Bewusstsein möglicher Wählerinnen und Wähler hängen bleibt, die zur Entlastung der Autofahrenden genannten Alternativen aber vergessen werden, weil dafür so viele finanzielle Mittel umverteilt werden müssten, dass dem Ganzen doch nicht geglaubt wird. Für Menschen, die auf das Auto angewiesen sind, wird DIE LINKE so unwählbar.

Zu 3: Haben die Autoren des Programmentwurfs die Bauernproteste nicht verstanden? Die Bauern wollen nicht zu Buhmännern der Nation abgestempelt werden. Statt Ihre finanziellen Sorgen ernst zu nehmen und z.B. gesetzlich festgelegte Mindesterzeugerpreise zu fordern, werden die Bauern hier pauschal an den Pranger gestellt. Dabei würden sie durchaus naturschonender produzieren wollen, wenn Ihnen der Preisdruck der Lebensmittelkonzerne dazu den Spielraum ließe.

Zu 4: Wie soll denn zukünftig der gewerbliche Fischfang praktiziert werden, mit der Angel?

Wie weit muss man von den tatsächlichen Problemen der Berufsfischer entfernt sein, um solch einen Satz zu schreiben? Natürlich muss der Fischfang so reduziert werden, dass nicht mehr Fische entnommen werden als nachwachsen können. Das setzt Fangquoten voraus, aber keine so pauschal formulierten Verbote.

Zu 5: Die Inflation beschäftigt gegenwärtig die meisten Menschen und bereitet ihnen Sorge. Der oben zitierte Satz wird dem nicht gerecht. Natürlich ist die Inflation zum Teil profitgetrieben, aber woher kommt der andere Teil? Das bleibt offen. Will man nicht zugeben, dass die Wirtschaftssanktionen gegen Russland auch dazu beigetragen haben? Und was wird als Gegenmaßnahmen vorgeschlagen? Einen Preisdeckel soll es nur bei Mieten geben ( S. 23 ), warum nicht auch bei Lebensmitteln? Warum wird nicht wenigstens eine Entlastung über die Mehrwertsteuer gefordert?

Zu 6: Die Forderung nach sofortigem Waffenstillstand ist völlig richtig, es fehlt aber das Wort „ohne Vorbedingungen“ . So wie es jetzt im Programmentwurf steht, könnte auch Selenskyj mit seinem „Friedensplan“ zustimmen, das würde aber nie zu einem Waffenstillstand führen und dem ständigen Sterben auf beiden Seiten ein Ende setzten. Im Programmentwurf wird der illusorischen Vorstellung nachgegangen, die EU und die Bundesregierung müssten „diplomatischen Druck mit China, Indien und Brasilien auf Russland ausüben“ (S. 59) statt mal darüber nachzudenken, wie durch die Ablehnung weiterer Waffenlieferungen Druck auf die Ukraine ausgeübt werden könnte, von seinen ultimativen Positionen (Rückeroberung aller russisch sprechenden Gebiete einschließlich Krim) abzurücken und kompromissbereiter zu sein.

Zu 7: Die genannten Forderungen sind nur andere Formulierungen für „offene Grenzen für alle“, was auch schon Im EU-Wahlprogramm 2019 so ähnlich stand. Natürlich muss Flüchtlingen geholfen und Schutz gewährt werden, aber was sind neben Flüchtlingen „Schutzsuchende“?

Ist das eine Rückkehr zu der früher in der Programmatik verwendeten Begrifflichkeit der „offenen Grenzen für Menschen in Not“? Oder sind subsidiär Schutzberechtigte nach § 4 Asylgesetz gemeint? Wie verhält es sich mit ArbeitsmigrantInnen, die in ihrem Heimatland nicht in Not leben, aber nach Europa kommen wollen, um hier mehr Geld zu verdienen? Kann denen völlig undifferenziert die Einreise ohne Visum erlaubt werden, wenn sie sich selbst zu “Schutzsuchenden“ erklären?

Arbeitsmigration kann soziale Probleme verstärken, vor allem für hier lebende Menschen, die im Niedriglohnsektor arbeiten oder für Menschen, die bezahlbare Wohnungen suchen. Diesen Problemen muss man sich mit differenzierten Lösungen stellen und ihnen nicht mit abstrakt moralisch motivierten Erklärungen ausweichen. Die weltweiten Unterschiede zwischen armen und reichen Ländern können nicht durch eine große Völkerwanderung behoben werden sondern nur durch eine schrittweise herbeigeführte neue gerechtere Weltwirtschaftsordnung.

Hans-Henning Adler

2023-09-17T10:37:43+00:00